Tinnitus: Das sollten Sie zu Ohrgeräuschen wissen

Sehnsucht nach Stille: Tinnitus verstehen – und damit umgehen lernen

07.02.2022 Wenn es gelegentlich oder dauerhaft im Ohr pfeift, rauscht oder zischt, liegt die Diagnose Tinnitus nahe. Die unliebsamen Ohrgeräusche haben vielfältige Ursachen. Erfahren Sie hier, was dahinter steckt, welche Behandlungsmöglichkeiten es gibt und was Betroffene selbst tun können, um besser mit Tinnitus zu leben.

Das Ohr ist ein empfindliches Sinnesorgan, das uns die akustische Außenwelt erschließt. Es wandelt Schallwellen in elektrische Signale um, die im Gehirn verarbeitet und so als Geräusch interpretiert werden können.

Der medizinische Begriff Tinnitus beschreibt Ohrgeräusche, die nicht auf äußere Schallquellen zurückzuführen sind. Verletzungen des Gehörgangs, diverse Grunderkrankungen, eine hohe Stressbelastung oder auch bestimmte Medikamente können Tinnitus auslösen [1, 2]. Die Ohrgeräusche können sehr unterschiedlich ausgeprägt sein, etwa als Pfeifen, Rauschen oder Pochen auftreten. Während manche Betroffene nur einen leisen Ton wahrnehmen, der im Alltag kaum stört, berichten andere von ständig hörbaren Geräuschen, die extrem belastend sein können.

Meist findet sich dafür keine klar identifizierbare Ursache. Die Wissenschaft geht heute davon aus, dass Tinnitus in vielen Fällen Ausdruck einer gestörten Kommunikation zwischen den Hörsinneszellen und dem Gehirn ist [3].

Pulsatil, sekundär, chronisch: Fachbegriffe einfach erklärt

Wer sich im Internet zum Thema Tinnitus informiert, stößt häufig auf verschiedene Fachbegriffe. Sie dienen dazu, die Anzeichen und Ausprägungsformen von Tinnitus medizinisch präzise einzuordnen. Tabelle 1 erklärt, was sie bedeuten:

Fachbegriff Erklärung
Subjektiver Tinnitus Nur der betroffene Patient nimmt die Ohrgeräusche (subjektiv) wahr.
Objektiver Tinnitus Die Ohrgeräusche gehen auf eine identifizierbare Geräuschquelle im Körper des Patienten zurück, die auch der untersuchende Arzt wahrnehmen kann, z. B. Strömungsgeräusche des Blutes.
Pulsatiler Tinnitus Die Ohrgeräusche sind mit dem eigenen Herzschlag synchronisiert und zeigen sich typischerweise als pulsierendes Pochen, Rauschen oder Klopfen.
Primärer (idiopathischer) Tinnitus Ohrgeräusche, die nicht mit einer identifizierbaren Ursache in Verbindung stehen.
Sekundärer Tinnitus Ohrgeräusche als direkte Folge einer Grunderkrankung oder infolge einer Verletzung des Gehörgangs.
Akuter Tinnitus Die Ohrgeräusche bestehen seit weniger als drei Monaten.
Chronischer Tinnitus Die Ohrgeräusche bestehen länger als drei Monate.

Den Ohrgeräuschen auf der Spur: Was der Arzt wissen muss

Der Hals-Nasen-Ohren-Arzt des Vertrauens ist eine gute Anlaufstation, um Ohrgeräusche abklären zu lassen. Eingangs erfragt der Arzt die Krankheitsgeschichte (Anamnese):

  • Wie lange dauern die Ohrgeräusche bereits an?
  • Sind beide Ohren betroffen oder tritt der Tinnitus einseitig auf?
  • Sind die Ohrgeräusche dauerhaft oder nur gelegentlich wahrnehmbar?
  • Gehen die Ohrgeräusche mit einem Hörverlust einher?

Diese und weitere diagnostisch relevanten Informationen helfen dem Arzt dabei, die Beschwerden näher einzugrenzen und eine mögliche Ursache dafür zu finden.

Anschließend untersucht der Arzt, ob Verletzungen oder Entzündungen des Ohrs, des Kopfes oder der Halsregion vorliegen. Auch das Hörvermögen wird kontrolliert. Bei Bedarf können weitere Tests erfolgen. Mit der sogenannten Hirnstammaudiometrie kann der Arzt zum Beispiel untersuchen, wie das Gehirn von den Hörsinneszellen ausgesendete Reize verarbeitet.

Tinnitus: Das ist heute therapeutisch möglich

Kann eine Grunderkrankung als Auslöser der Ohrgeräusche ausfindig gemacht werden, steht die Therapie dieser Erkrankung im Vordergrund. Dadurch lässt sich häufig auch der Tinnitus erfolgreich behandeln. Manchmal geht Tinnitus mit einem Hörsturz (einem plötzlich eingeschränkten Hörvermögen) einher. Nach ärztlichem Ermessen kann ein Hörsturz unter anderem mit Kortisonpräparaten behandelt werden.

In den meisten Fällen gibt es keine klar ersichtliche Ursache für die Ohrgeräusche, was eine gezielte Therapie erschwert. Die gute Nachricht lautet: Es gibt Wege, dem Tinnitus weniger Raum im Alltag zu geben und dadurch besser damit leben zu können.

Menschen, die an Tinnitus leiden, gehen sehr unterschiedlich damit um. Während manche Betroffene sich kaum durch die Ohrgeräusche eingeschränkt fühlen, empfinden andere sie als große Belastung. Daher ist eine individuelle ärztliche Beratung sehr wichtig. So können Betroffene unter ärztlicher Anleitung die für sie am besten geeignete Bewältigungsstrategie wählen.

Tinnitus-Retraining-Therapie

Die Tinnitus-Retraining-Therapie kann Betroffenen dabei helfen, den Tinnitus im Alltag weniger intensiv wahrzunehmen oder ihn sogar vollständig auszublenden. Sie setzt sich aus folgenden Maßnahmen zusammen:

  1. Tinnitus-Counseling: Der Arzt klärt umfassend über die Entstehung des Tinnitus und den Umgang mit den Ohrgeräuschen im Alltag auf. Diese Maßnahme zielt vor allem darauf ab, den Betroffenen die Angst vor den Ohrgeräuschen zu nehmen.
  2. Den Tinnitus durch ein positives Nebengeräusch ausblenden: Bei dieser Therapieform kommen sogenannte Rauschgeräte (Noiser) zum Einsatz, die wie ein Hörgerät in oder hinter dem Ohr getragen werden. Sie geben dauerhaft ein „weißes Rauschen“ ab. Dieses eintönige Geräusch wird von den Betroffenen als angenehm empfunden (etwa wie leises Meeresrauschen), überdeckt aber den Tinnitus-Grundton nicht vollständig. Der entstehende Gewöhnungseffekt kann dazu beitragen, den Tinnitus mit der Zeit nur noch kaum oder gar nicht mehr wahrzunehmen. Allerdings ist die Wirksamkeit dieser Therapieform bislang nicht durch Studien belegt. Die Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie e. V. spricht sich daher in der aktuellen S3-Leitlinie zur Diagnose und Therapie des chronischen Tinnitus gegen den Einsatz von Rauschgeräten aus.
  3. Die dritte Säule der Tinnitus-Retraining-Therapie bilden psychotherapeutische Ansätze. Beispielsweise können im Rahmen einer kognitiven Verhaltenstherapie Entspannungstechniken oder das sogenannte Biofeedback erlernt werden.

Weitere Informationen rund um das Thema Tinnitus finden Betroffene auch auf der Webseite der gemeinnützigen Selbsthilfeorganisation „Deutsche Tinnitus Liga e. V.“.

Quellen

  1. Han et al. Tinnitus: Characteristics, Causes, Mechanisms, and Treatments. J Clin Neurol 2009; 5: 11–19.
  2. Ciminelli et al. Tinnitus: The Sound of Stress? Clin Pract Epidemiol Ment Health 2018; 14: 264–269.
  3. Henry et al. Underlying Mechanisms of Tinnitus: Review and Clinical Implications. J Am Acad Audiol 2014; 25: 5–126.
  4. Esmaili et al. A review of tinnitus. Aust J Gen Pract 2018; 47: 205–208.

Bildnachweis: “Human ear anatomy with sound wave, medically accurate 3D illustration”; stock.adobe.com/Axel Kock

Autor dieses Beitrags: Fabian Kaiser, medizinwelten-services GmbH, Stuttgart

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Fachgebiet (Unterfachgebiet):
Allgemeinmedizin, Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Innere Medizin, Öffentliches Gesundheitswesen

Körperregion/Organsystem:
Ohr, Gehirn

Jahreszeit:
ganzjährig

Medizinischer Bereich:
Ohrgeräusche, Tinnitus

Schlagwörter:
akuter Tinnitus, chronischer Tinnitus, Diagnose, Hören, Hörgerät, Hörsturz, idiopathischer Tinnitus, Noiser, Ohrgeräusche, pulsatiler Tinnitus, Rauschgerät, Retraining, Stress, Verhaltenstherapie