Eine Person hält einen stilisierten Blutstropfen in ihren Händen.

Hämophilie: Wenn das Blut nicht richtig gerinnt

So wird die Bluterkrankheit heute behandelt

12.07.2024 – Wer in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts an der sogenannten Bluterkrankheit (Hämophilie) litt, wurde durchschnittlich nur rund 30 Jahre alt [1]. Heute ist die Erkrankung dagegen sehr gut behandelbar. Hier erfahren Sie, welche Ursache ihr zugrunde liegt und wie sich die Therapie der Hämophilie im Laufe der Jahre gewandelt hat.

Der menschliche Körper kann kleine Wunden im Normalfall binnen weniger Sekunden verschließen und dadurch den Blutverlust minimieren. Die Blutgerinnung funktioniert aber nur dann reibungslos, wenn bestimmte Eiweiße (Gerinnungsfaktoren) im Blut miteinander wechselwirken. Menschen mit Hämophilie – einer angeborenen Blutungsneigung – fehlt ein Gerinnungsfaktor oder er liegt in zu geringer Konzentration im Blut vor, um einen adäquaten Wundverschluss zu ermöglichen.

Hämophilie betrifft fast nur Jungen und Männer – warum ist das so?

Die an der Blutgerinnung beteiligten Gerinnungsfaktoren werden mit römischen Ziffern von I (1) bis XIII (13) nummeriert. Während der Hämophilie A ein Mangel an Gerinnungsfaktor VIII (8) zugrunde liegt, geht die Hämophilie B auf niedrige Blutspiegel des Gerinnungsfaktors IX (9) zurück. In beiden Fällen fehlt ein wichtiges Bindeglied, das für die Blutstillung benötigt wird [1].

Die genetische Information für die Gerinnungsfaktoren VIII und IX liegt auf dem X-Chromosom, das bei Mädchen und Frauen doppelt (Kombination XX), bei Jungen und Männern zusammen mit einem Y-Chromosom in allen Körperzellen vorliegt (Kombination XY) [1]. Das Y-Chromosom ist ausschlaggebend für das männliche Geschlecht.

Frauen, die ein X-Chromosom mit einem fehlerhaften Gerinnungsfaktorgen haben, können die Veranlagung für eine Hämophilie an ihre Kinder weitergeben. Sie selbst sind in der Regel gesund oder haben ein nur mäßig erhöhtes Blutungsrisiko, da ihr zweites X-Chromosom das defekte Gegenstück kompensieren kann. Bei Jungen und Männern gibt es diese „genetische Sicherungskopie“ nicht. Die Veranlagung für eine Hämophilie A oder B führt daher bei männlichen Betroffenen immer zu einer Blutungsneigung [1].

Abbildung 1 erklärt die Zusammenhänge im Detail.

Die Abbildung zeigt mögliche Vererbungsmuster der Bluterkrankheit Hämophilie in Abhängigkeit davon, ob der Vater oder die Mutter die Erbanlage für die Erkrankung hat.

Abbildung 1: Mögliche Vererbungsmuster der Hämophilie. © medizinwelten-services GmbH.

Therapie: Abhängig vom Schweregrad

Erbgutveränderungen auf dem X-Chromosom können einen vollständigen Ausfall oder einen verringerten Blutspiegel eines Gerinnungsfaktors nach sich ziehen. Je nachdem, wie hoch die Restaktivität des betroffenen Gerinnungsfaktors ist, teilt man die Hämophilie in die Schweregrade mild, moderat oder schwer ein [1]. Bei einer schweren Hämophilie ist nicht nur das Risiko für Blutungen infolge äußerlicher Verletzungen erhöht. Auch innere Blutungen sind möglich, die lebensbedrohliche Folgen haben können [1].

Häufig treten innere Blutungen im Bereich der großen Gelenke auf, z. B. an den Ellenbogen, den Knien oder den Knöcheln. Dadurch können sich die Gelenke entzünden. Eine frühe Therapie ist daher insbesondere bei einer schweren Hämophilie wichtig, um bleibende Gelenkschäden (Arthropathien) zu vermeiden [1].

Moderne Therapien ermöglichen normale Lebenserwartung

Die Hämophilie konnte erstmals in den 1970er-Jahren gezielt behandelt werden. Zum Einsatz kamen aus Spenderblut gewonnene Gerinnungsfaktorkonzentrate. Die Euphorie währte allerdings nur kurz, da man bald erkannte, dass sich viele Patienten über kontaminiertes Blut mit dem Humanen-Immunschwäche-Virus (HIV) oder dem Hepatitis-C-Virus (HCV) infiziert hatten [1]. Damals wurde der erhöhte Schutz vor Blutungen also noch teuer erkauft.

Heute stehen Gerinnungsfaktorpräparate zur Verfügung, die mit biotechnologischen Verfahren unter hohen Sicherheitsstandards im Labor produziert werden. Dank dieser therapeutischen Fortschritte haben Menschen mit Hämophilie, die in Regionen mit einer guten medizinischen Versorgung leben, eine normale Lebenserwartung [1].

Bei milden Verläufen reicht ggf. eine bedarfsgesteuerte Therapie aus. Hier injizieren die Betroffenen den fehlenden Gerinnungsfaktor nur bei einem unmittelbaren Blutungsereignis oder in Situationen, in denen ein erhöhter Blutungsschutz erforderlich ist, z. B. vor einer Operation.

Bei einer schweren Hämophilie sind meist vorbeugende Maßnahmen (Prophylaxe) notwendig, um einen dauerhaften Blutungsschutz zu gewährleisten. Das bedeutet, dass sich die Patienten den Gerinnungsfaktor lebenslang in regelmäßigen Abständen spritzen müssen.

Wissenschaftler forschen weiterhin intensiv an neuen Therapiemöglichkeiten. Dank dieser Bemühungen gibt es heute moderne Gerinnungsfaktorpräparate mit einer verlängerten Halbwertszeit, die es Betroffenen ermöglichen, die Therapie leichter in den Alltag zu integrieren [1].

Quellen

  1. Berntorp E et al. Nat Rev Dis Primers 2021; 7: 45. doi: 10.1038/s41572-021-00278-x

Bildnachweis: “Hände halten Bluttropfen, geben Blutspende, Bluttransfusion, Welt-Blutspendetag, Welt Hämophilie Tag Konzept”; iStock.com/SewcreamStudio

Autor dieses Beitrags: Fabian Kaiser, medizinwelten-services GmbH, Stuttgart

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Fachgebiet (Unterfachgebiet):
Innere Medizin, Hämatologie, Orthopädie

Körperregion/Organsystem:
Blut

Jahreszeit:
ganzjährig

Anlass:
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Schlagwörter:
Arthropathie, Bluterkrankheit, Blutung, Faktor VIII, Faktor IX, Gelenkschäden, Gerinnungsfaktor, Hämophilie A, Hämophilie B, Prophylaxe, Vererbung