22.08.2024 – Osteoporose, Alzheimer, Depressionen: Typisch Frau? Und ist der Herzinfarkt eine typische Männerkrankheit, oder unterscheiden sich nur die Symptome je nach Geschlecht? − Bei vielen Erkrankungen macht es tatsächlich einen Unterschied, ob Frauen oder Männer davon betroffen sind. Die Gendermedizin beschäftigt sich mit diesen geschlechtsspezifischen Unterschieden. Lesen Sie, bei welchen Krankheiten dies zum Tragen kommt und warum Frauen manchmal eine andere Medizin benötigen als Männer.
Menschen unterscheiden sich aufgrund ihres biologischen („sex“) und sozialen („gender“) Geschlechts. Letzteres beschreibt die von der Gesellschaft und individuellen Lebenserfahrungen geprägte Geschlechterrolle. Das biologische Geschlecht beeinflusst die Lebenserwartung und das Erkrankungs- und Sterberisiko. [1] Die Gendermedizin erforscht diese geschlechtsspezifischen Unterschiede und ermöglicht eine bedarfsgerechtere Behandlung von Patient:innen. Den Grundstein legte die amerikanische Ärztin B. Healy, als sie 1991 in einem Artikel unterschiedliche Symptome des Herzinfarkts bei Frauen und Männern beschrieb. [2, 3]
Eine Reihe von Erkrankungen treten zwar bei beiden biologischen Geschlechtern auf, unterscheiden sich aber in Häufigkeit und/oder Verlauf.
Bei Frauen häufiger als bei Männern sind u.a.: [4−7]
Männer haben dagegen für die meisten Krebsarten ein höheres Erkrankungsrisiko. Dies lässt sich nicht allein durch Risikofaktoren wie z.B. einen ungesünderen Lebensstil erklären, sondern wird auf geschlechtsabhängige biologische Einflussfaktoren zurückgeführt. [8] Möglicherweise gibt es sogar geschlechtsspezifische Unterschiede in der Biologie von Tumorzellen. [6]
Auch bei Lungenerkrankungen wie Asthma, Lungenkrebs und SARS-CoV-2 gibt es Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Asthma tritt bei Jungen häufiger auf als bei Mädchen, im späteren Lebensverlauf dann aber häufiger bei Frauen als bei Männern. Das Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken, ist für Frauen größer als das für Männer, wenn eine ähnliche Exposition mit durch das Rauchen verursachten Schadstoffen vorliegt. Möglicherweise liegt das an einer höheren Empfindlichkeit gegenüber krebserregenden Schadstoffen und an hormonellen Unterschieden. Bei SARS-CoV-2 haben wiederum Männer ein höheres Risiko für einen schweren Verlauf. [9]
Manchmal unterscheiden sich sogar die Symptome einer Erkrankung je nach Geschlecht – wie beim Herzinfarkt. Die weniger bekannten Anzeichen des „weiblichen“ Herzinfarkts (u.a. Druck- und Engegefühl in der Brust, Rückenschmerzen, Übelkeit und Erbrechen) können dazu führen, dass zunächst kein Herzinfarkt vermutet wird. Daher wird bei Frauen die richtige Diagnose in manchen Fällen erst später als bei Männern gestellt. [10] Auch das Organ selbst weist geschlechtsspezifische Unterschiede auf: Das Herz einer Frau ist kleiner und hat eine andere mikrostrukturelle Architektur als das Herz von Männern.
Zudem wirken sich manche Herzinfarkt-Risikofaktoren unterschiedlich aus. So geht z.B. ein Diabetes mellitus bei beiden Geschlechtern mit einem erhöhten Herzinfarkt-Risiko einher – bei Frauen fällt dieser Risikofaktor aber stärker ins Gewicht. Schwangerschaftskomplikationen können das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen im späteren Lebensverlauf ebenfalls erhöhen. [11, 12] Durch das weibliche Sexualhormon Östrogen sind Frauen zwar in jungen Jahren besser vor einem Herzinfarkt geschützt als Männer; nach den Wechseljahren steigt das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen aber deutlich an. [13]
Selbst bei der Wirkung und Verstoffwechselung von Medikamenten gibt es Unterschiede zwischen Frauen und Männern, meist aufgrund hormoneller, genetischer oder umweltbedingter Einflüsse. Frauen bauen manche Medikamente langsamer ab als Männer; entsprechende Dosisanpassungen sind daher sinnvoll. [6]
Frauen und Männer unterscheiden sich bezüglich ihres Erkrankungsrisikos, des Verlaufs und der Symptome einiger Krankheiten. Auch die mikrostrukturelle Herzarchitektur, der Hormonstatus, Lebensgewohnheiten und die Verstoffwechselung von Medikamenten weichen voneinander ab. Die Gendermedizin trägt zu einer bedarfsgerechteren geschlechtsspezifischen Behandlung bei und sollte daher einen wichtigen Stellenwert in der Medizin erhalten. |
Klinische Studien wurden früher bevorzugt an Männern durchgeführt, um zyklusbedingte hormonelle Schwankungen oder eine potenzielle Schwangerschaft auszuschließen. Dies hat Auswirkungen auf die Datenlage, die noch bis in die heutige Zeit reichen können. Zusätzlich sind typische Frauenkrankheiten schlichtweg nicht so gut erforscht. Es existiert ein sogenannter „Gender Data Gap“ für Frauen, also eine geschlechtsspezifische Datenlücke. [4]
Seit Healys Veröffentlichung ist mittlerweile zumindest der Grundgedanke etabliert, dass es für die Medizin relevante geschlechtsspezifische Unterschiede gibt. Die Politik fördert Forschungsvorhaben, um zukünftig Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern in der Gesundheitsversorgung zu verringern. [1] So wurden etwa spezielle FemTech-Produkte entwickelt: Das sind technologische Lösungen, die Frauengesundheit fördern. Apps zur Ermittlung der fruchtbaren Tage, smarte Armbänder gegen Hitzewallungen oder intelligente Tampons sind Beispiele für diese Entwicklungen. [14, 15] Auch speziell für die Versorgung von Männern sind digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs) auf dem Markt, beispielsweise zu Themen wie Impotenz oder Blasenentleerungsstörungen. [16] An der medizinischen Fakultät der Universität Bielefeld gibt es eine Arbeitsgruppe für „Geschlechtersensible Medizin“ [17]. Es gibt also Hoffnung, dass die medizinische Versorgung von Frauen und Männern in Zukunft bedarfsgerechter und individueller erfolgen wird.
Bildnachweis: „Geschlechtszeichen für Männer und Frauen schneiden in der Hälfte auf einem Holzblock auf einem Tisch“; iStock.com/Devenorr
Autorin dieses Beitrags: Dr. Stephanie Graser, medizinwelten-services GmbH, Stuttgart
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Fachgebiet (Unterfachgebiet):
Gendermedizin
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Gesamter Körper
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Allergien, Alzheimer, Asthma, bedarfsgerechte Behandlung, biologisches Geschlecht, Brustkrebs, Depression, FemTech, Frauen, Gender, Gendermedizin, Gender Data Gap, Geschlecht, geschlechtsspezifische Behandlung, Herzinfarkt, Lungenkrebs, Männer, Migräne, Osteoporose, SARS-CoV-2, soziales Geschlecht